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Gleis 7 , 

Antonia Döring

Gleis 7

Das Studentenleben der Stadt Reutlingen ist aufgrund mangelnder Ausgehmöglichkeiten wie ausgestorben. „Gleis 7“ schenkt der Stadt einen Treffpunkt für lehrreiche Nachmittage und wilde Partynächte. Der seit 40 Jahren leerstehende Bahnhof wird mit neuem, frischem Leben gefüllt — als Club mit großzügigem Workshopbereich und Café.Der alte Südbahnhof wurde im Juni 1892 erbaut und liegt im Süd-Osten von Reutlingen, in Mitten eines Industriegebiets. Von der Stadtmitte sind es circa 15 Minuten zu Fuß und auch der Hauptbahnhof ist nur 20 Minuten entfernt. Ob mit dem Auto, dem Bus, der Bahn, zu Fuß oder mit dem Rad — „Gleis 7“ ist für jeden einfach zu erreichen.Das Spiel aus der Naturbelassenheit des Bestands und der wilden Discozeit mit ihrem Zukunftsgedanken bildet die Basis für die Konzeptidee des „Gleis 7“. Der Entwurf soll diese Idee sowohl im äußerlichen Erscheinungsbild des Gebäudes, als auch im Inneren begleiten und widerspiegeln.
Wie ein Zug scheint der Anbau, parallel zu den Gleisen, durch das alte Bahnhofsgebäude zu schießen. Um mehr Platz für die neue Nutzung zu generieren, werden alte Teile des Bahnhofs durch neue ersetzt. Die Architektur des Anbaus, welche sich am Ursprungsgebäude orientiert, steht mit ihrer dynamischen Form im Kontrast zum statischen Bestand und lässt eine Spannung zwischen der ehemaligen und der neuen Nutzungsidee entstehen.
Langzeitbelichtungen von Zügen dienen als Inspiration für die Fassade. Auffallend sind unterschiedlich breite, horizontale Linien, welche durch Lichtreflexe mal heller und mal dunkler erscheinen. Horizontal angebrachtes Aluminiumwellblech mit unterschiedlichen Wellenlängen bietet die gewünschte Wirkung. Durch die reflektierende Oberfläche und die verschieden großen Abstände der Wellen des Materials erzeugen Lichter und Farben aus der Umgebung eine Dynamik und lassen den Anbau je nach Tageszeit wie in Bewegung erscheinen. Die Gestaltung des Innenraums lehnt sich, genauso wie die Gestaltung von aussen, an das Thema des Zuges an. Die 70er-Jahre mit dem Discoboom und das Erzeugen von Spannungen zwischen dem naturbelassenen Bestand und dem futuristischen Anbau spielen dabei zusätzlich eine wichtige Rolle. Die doppelte Nutzung als Workshopbereich und Club soll sich dementsprechend klar voneinander unterscheiden. Auf Basis des atmosphärischen Leitbilds wurden eine Formensprache, eine Material- und Farbwelt und ein Lichtkonzept entwickelt, welche den Entwurf widerspiegeln und verdeutlichen. Zudem sind einige Möbelentwürfe, wie unterschiedliche Sitzmöglichkeiten und das große multifunktionelle Einbaumöbel entstanden. In der „Station“, dem Untergeschoss, befinden sich die Gästetoiletten sowie Lager- und Technikräume. Die „Station“ erstreckt sich unter dem gesamten Neubau und dockt an den Ursprungskeller an. Aquarellgrüne Metrofliesen und große, halbrunde Deckenleuchten erzeugen die Atmosphäre einer U-Bahnstation. Sitzmöglichkeiten und ein Freibereich verhindern Warteschlangen in den oberen Geschossen und laden zum Durchatmen während einer wilden Partynacht ein. Im Erdgeschoss wird das charmante Bahnhofsgebäude vom dynamischen Neubau, dem „Zug“, durchfahren. Richtung Süden befindet sich der große „Wagon“. Während des Tages finden hier Nähworkshops von Studenten der Textilstudiengänge in Reutlingen statt. Nachts wird er zur Tanzfläche. Ein multifunktionaler Raum mit Loungebereich und großer Bar entsteht. Die doppelte Nutzung wird durch das große Einbaumöbel ermöglicht, welches sich durch den gesamten „Zug“ streckt. Schrankelemente, welche die Fenster verschließen, sorgen für Dunkelheit während des Clubbetriebs und bieten Arbeitstische und Stauraum für die Workshopnutzung. Der Kontrast aus naturbelassenem Eschenholz im Inneren des Möbels und einer rot gebeizten Außenseite differenziert zusätzlich die verschiedenen Nutzungsmöglichkeiten. Die rote Farbe soll diesen Kontrast zur Naturbelassenheit verstärken und wirkt dazu lebensfroh und bewegt. Die Decke des Einbaumöbels ist mit Wellblechakustikpaneelen verkleidet und versteckt Licht- und Soundtechnikelemente. Unterschiedlich lange LED-Röhren verstärken die Dynamik des Zuges und erzeugen ein vollkommenes Raumerlebnis.
Der nördliche, kleinere „Wagon“ beinhaltet eine Bar und kann nach Bedarf zu einer zweiten Tanzfläche umfunktioniert werden. Auch hier erschließt sich das Einbaumöbel aus dem großen „Wagon“. Außenliegende Sitzmöglichkeiten verstärken den Zugcharakter und laden zu einem Cocktail ein. Die Farb- und Materialwelt entspricht der des großen „Wagons“ und auch das Lichtkonzept zieht sich durch das gesamte Erdgeschoss. Die oberen Geschosse des Bestandes bleiben weitgehend, dem Original entsprechend, erhalten. Um dennoch einen Kontrast zu erzeugen, tauchen einige Materialien und Farben des Erdgeschosses hier erneut auf. Im Café erzeugen rote Eschenholzmöbel und die Theke aus Aluminium eine Spannung zu den originalen Holzdielen und den naturbelassenen Holzbänken. Auf der gemütlichen Dachterrasse kann an warmen Tagen entspannt werden.
Der kleine Mitarbeiterbereich im Dachgeschoss bietet dem Personal einen Pausenraum mit kleiner Küche und Sitzecke sowie ein eigenes WC. Auch das Büro ist hier verortet. Das freiliegende Fachwerk einer Innenwand bleibt erhalten und wird mit rotem Milchglas gefüllt, damit der Raum an Helligkeit gewinnt. Die Möbel und Materialien entsprechen auch hier dem Konzept des „Gleis 7“. „Gleis 7“ wird zu einer Ikone in Reutlingen und schafft einen neuen Treffpunkt für die Studenten*innen in Reutlingen. Lehrreiche Workshops von jungen Leuten, entspanntes Beisammensein und vor allem legendäre Partynächte — dafür steht „Gleis 7“.

Projekt:Masterarbeit
Titel:Gleis 7
Zeitraum:Sommersemester 2023