
LfA Kunstkalender 2023
ABSTRAKT
»Der Stuhl ›Abstrakt‹ ist im Rahmen des Semesterprojekts „Chairmakers“ am Lehrstuhl Entwurf und Produkt (Greutmann) an der Akademie der Bildenden Künste entstanden. Das Thema ›Minimalismus‹ bildete die Grundlage für den Stuhlentwurf. Ich näherte mich formalästhetisch dem Thema mit einer Materialreduktion und Transparenz. Mit den gespannten, filigranen Seilen, die die Rücken- und Sitzschalen bilden, wird bei dem Stuhl „›Abstrakt‹ ein minimalistischer Materialansatz gewählt, um somit ein transparentes, beinahe immaterielles Erscheinungsbild zu erschaffen. Durch Formstudien sowie anhand von Ergonomiemodellen und praktischen Versuchen entstand ein ganzheitliches Konzept. Das Traggerüst des Stuhls besteht aus gebogenem Rundstahl. Die gespannten Geraden des neonorangefarbigen PP-Seils bilden in der Gesamtheit die Rücken- und Sitzflächen, die mit einer Umwicklung um die Stahlstangen am Gestell verbunden sind. Die Verschlusskappen der Seile miteinbezogen, konnte durch die Verwendung von lediglich drei Materialien neben dem formtechnischen auch ein materiell minimalistischer Entwurf realisiert werden.«
Kim Ofenstein
Kaum ein Möbelstück bietet mehr Raum für bildhafte Gestaltung als ein Stuhl. Er ist nicht nur funktional, sondern erzählt oft in besonderer Weise etwas über die (be-)sitzende Person, der er dient, die der Stuhl aber zugleich repräsentiert. Ein Stuhl kann eben auch eine hierarchische Schranke zwischen Sitzen und Stehen markieren. Eine schöne Randnotiz ist es, dass man eine akademische Einrichtung als Lehrstuhl bezeichnet. An einem solchen, nämlich am Lehrstuhl für Entwurf und Produkt der Akademie der Bildenden Künste in München, gibt es regelmäßig Semesterprojekte, die sich mit dem Sitzmöbel beschäftigen. Um durch die Gestaltung ausgedrückte Hierarchien ging es dabei nicht, minimalistisch sollten die Entwürfe und Prototypen dieses Mal sein. Kim Ofenstein überlegte sich dazu, das Material zu reduzieren und zugleich einen filigranen und dadurch transparenten Ansatz zu verfolgen. Transparenz bedeutet dabei nicht nur eine optische Durchlässigkeit, sondern meint auch die Offenlegung der Konstruktion. Jede Materialverbindung ist nachvollziehbar, ob es sich um das schwarze Rundstahlgerüst oder die darum gewickelten und dazwischen gespannten neonorangen Schnüre aus Polypropylen handelt. Auffällig sind zudem die kleinen blauen Hülsen, mit denen die Schnurenden abgeschlossen sind, um ein Auffasern zu verhindern. Orangerot, Schwarz und Blau werden also jeweils für unterschiedliches Material und unterschiedliche Funktionen verwendet. Die Schnüre sind so aufgespannt, dass sie nur zwei Flächen bilden: Sitz und Lehne. Für die Sitzfläche werden sie übereinander an den hinteren senkrechten Rohren befestigt und straff über die vordere waagerechte Kante gespannt, um die sie auf der ganzen Länge herumgewickelt werden. Nach dem gleichen Prinzip werden die Schnüre der Lehne aufgezogen und spannen sich diagonal in einer Torsion, einer Verdrehung um 90 Grad, zwischen den beiden Kufen am Boden und dem oberen Abschluss der Lehne. Durch die Torsion entsteht zugleich eine Zeichnung aus roten Linien im Raum, die sich in immer neuen Variationen überschneiden, je nach Blickpunkt. Für unsere Abbildung wurde der Stuhl vor einem dunklen Hintergrund fotografiert. So tritt das Stahlgestell optisch zurück und die orangeroten Schnüre erinnern an ein konstruktivistisches Bild. Ihre starke Wirkung entfaltet sich in der Bildfläche als ungegenständliche Komposition. Der Titel „Abstrakt“ nimmt dieses filigrane und transparente Image auf. Aus dem Objekt wird ein Bild – und umgekehrt: Das Möbel ist zugleich eine abstrakte Skulptur mit minimalistischer Formensprache.
Text: Jochen Meister
TECHNISCHE DATEN
- Kim Ofenstein
- Titel: Abstrakt
- Jahr: 2022
- Größe (H x B x T): 88,4 x 48 x 57,6 cm
- Material: Gebogener Rundstahl mit schwarzer Lackierung, Polypropylen-Seil in der Farbe Neonorange, Schrumpfschlauch in der Farbe Blau